Die Bibliothek der südnorwegischen Stadt Vennesla zählt zu den schönsten der Welt. Der spektakuläre Holzbau des Architekturbüros Helen & Hard basiert auf einer Rippenstruktur, die Assoziationen an das Innere eines Wales weckt.

Norwegen ist ein Land mit einer langen Walfangtradition und einem unrühmlichen Veto gegen das Moratorium der Internationalen Walfangkommission. Trotz internationaler Kritik werden nach wie vor etwa 1.000 Minkwale pro Jahr zum Abschuss freigegeben. Dabei ist das Whale Watching, das jedes Jahr Tausende Naturliebhaber in den Hohen Norden lockt, der wesentlich profitablere Wirtschaftszweig. Dessen neues Zugpferd wird das spektakuläre Museum The Whale von Dorte Mandrup sein, das demnächst auf der Insel Andøya seine Tore öffnen wird.

Vennesla Library, Helen & Hard, Norwegen
Die Bibliothek in Vennesla zählt zu den schönsten der Welt.

In der kleinen Kommune Vennesla in Südnorwegen hatte man mit dem Walfang seit jeher wenig zu tun. Dennoch fand das große Meerestier auch hier seinen architektonischen Niederschlag. Mit der 2011 eröffneten Vennesla Bibliothek bekamen die Bewohner nicht nur ein öffentliches Wohn- und Lesezimmer, sondern auch eine Art architektonische „Whale-Fiction“.

Konstruktion und Mobiliar in einem

Mit seinen 27 organisch geformten Holzrippen erinnert der konstruktive Holzbau an das Innere eines Walfisches. „Bei diesem Projekt haben wir eine Rippenkonstruktion mit funktionalen Hybrid-Elementen entwickelt, die eine Holzstruktur mit allen technischen Vorrichtungen und der Inneneinrichtung verbinden“, erklären die Architekten des norwegischen Büros Helen & Hard ihr Konzept.

Außenansicht, Vennesla Library, Helen & Hard, Norwegen
Das Gebäude stammt aus der Feder des norwegischen Architekturbüros Helen & Hard und zählt mittlerweile zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Region.

Diese Rippen bestehen aus vorgefertigten Brettschichtholzelementen und bilden den konstruktiven Rahmen der Bibliothek. Gleichzeitig sind in diesen Strukturelementen auch Leuchtmittel, Bücherregale, Sofas und Leseecken integriert. Während die tragende Konstruktion den großzügigen Raum wie eine variable Klammer umfasst, wird sie am Boden zum gemütlichen Mobiliar.

Ikone des Kommunalbaus

Die organischen Rundungen im Inneren bilden einen spannenden Kontrapunkt zur scharfkantigen Geometrie im Äußeren. Die spezielle Konstruktion und das einprägsame Erscheinungsbild des außergewöhnlichen Holzbaus haben bei seiner Errichtung viel Aufmerksamkeit erregt.

Bei diesem Projekt haben wir eine Rippenkonstruktion mit funktionalen Hybrid-Elementen entwickelt, die eine Holzstruktur mit allen technischen Vorrichtungen und der Inneneinrichtung verbinden.

Helen & Hard, Architekturbüro

Seit seiner Eröffnung im Jahr 2011 führte das Gebäude diverse Rankings der schönsten Bibliotheken der Welt an und gilt mittlerweile als eine Ikone im innovativen Kommunalbau. Dass der Holzbau zugleich auch ein Niedrigenergie-Gebäude ist, versteht sich dabei beinahe von selbst. 

Innenansicht, Vennesla Library, Helen & Hard, Norwegen

Für das architektonische Konzept hat Vennesla bibliotek og kulturhus, so der offizielle Name der Einrichtung, mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter den norwegischen Staatspreis für Architektur. „Das Ziel war, dass die Bibliothek mehr Menschen anzieht – um die wundervolle Welt der Bücher zu erleben – und gleichzeitig einen hellen, offenen Treffpunkt für Einheimische schafft“, heißt es in der Beschreibung der Architekten. 

Wirtschaftsfaktor Architektur

So wie in der ursprünglichen Ausschreibung gefordert, markiert das Gebäude heute das kulturelle Zentrum der Stadt. Laut Tripadvisor zählt es auch zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Region. Der Architektur dürfte also auch ein gewisser wirtschaftlicher Faktor zukommen, der gemeinhin als Bilbao-Effekt bezeichnet wird. Der Begriff geht auf Frank Gehrys 1997 eröffnetes Guggenheim-Museum zurück, das der nordspanischen Industriestadt zu einer ungeahnten wirtschaftlichen Blüte verhalf.

Fassade, Vennesla Library, Helen & Hard, Norwegen
Die farbige Holzfassade bildet in ihrer scharfkantigen Geometrie einen Kontrapunkt zum orgnischen Inneren.

Der einzige Wermutstropfen der Architektur-Ikone ist ihre Funktionalität. So haben Nutzer des Gebäudes mehrfach kritisiert, dass es in seiner Hauptfunktion, nämlich als Bibliothek, eher unpraktisch sei. Auf der Suche nach einem bestimmten Werk scheint sich demnach das sagenhafte Narrativ zu bewahrheiten: Man fühlt sich wie vom Wal verschluckt.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Emile Ashley

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