#smart office

Wenn Top-Architekten ihr eigenes Büro bauen

Beim Architekturbüro LAN in Paris nimmt man Ganzheitlichkeit wörtlich. Das neue Office ist Design-Meisterstück und zeitgeistiger Arbeitsplatz in einem. Hier steht Bandbreite nicht nur für Internet-Speed, sondern auch für vielfältige soziale Interaktion.

Ganzheitlich ist ein Begriff, der fast schon so inflationär Verwendung findet wie nachhaltig. Keine Frage, die beiden Bezeichnungen beschreiben wesentliche universale Zusammenhänge. Doch oft genug steckt eben mehr Hülle als Inhalt dahinter.

Nicht so bei LAN, dem Local Architecture Network in Paris. Für das neue Bürogebäude an der Adresse 47 Rue Popincourt im hippen 11. Arrondissement lag der Fokus vor allem darauf: „Das Ziel dieses Projekts ist eine Veränderung in der Praxis unserer Agentur. Angefangen bei den Räumlichkeiten bis hin zur Modernisierung der Arbeits- und Gestaltungsmittel.“

Google und die Kaffeemaschine

An welch kleinen Raffinessen dafür gearbeitet wurde, zeigt allein schon ein Detail zur Förderung der Interaktionen unter den Mitarbeitern. So misst etwa ein eigenes Tool die Warteschlange vor der Kaffeemaschine, um dort die Begegnungen der Belegschaft zu maximieren.

Dabei handelt es sich um ein komplexes Patent von Google, das auch Coffee-Shops einsetzen, um die potentiellen Wartezeiten von Kunden zu erfassen.

Eine Zeichnung des LAN-Hauptquartiers in Paris: Auf ein altes Parkhaus wurde eine stylische und zugleich ökologische Holzkonstruktion gesetzt.

Dabei ist LAN alles andere als ein Unternehmen, das nach einem schnellen Hype heischt. Das Büro wurde 2002 von Benoit Jallon und Umberto Napolitano mit der Idee gegründet, „Architektur als Tätigkeitsbereich an der Schnittstelle mehrerer Disziplinen zu erforschen“. Mittlerweile sei aus dieser Haltung eine Methodik geworden. Dadurch könne man sich nun einer Vision widmen, die soziale, urbane, ökologische und funktionale Fragen einschließe.

Projekte und Preise

Wozu ein solch offener Geist führen kann, zeigen diverse ikonische Projekte in Europa und die entsprechenden Auszeichnungen dafür: das Maillon-Theater in Straßburg (Prix de l‘Equerre d’Argent 2020), der Euravenir-Turm in Lille (nominiert für den Mies van der Rohe Award 2015 und den Prix Soufaché der Akademie für Architektur), der experimentelle Wohnbau in Bègles (Biennale Venedig 2016) oder die Neuen Hamburger Terrassen (International Architecture Awards 2014).

Durchgesignt bis in die letzte Ecke: selbst die Möbel wurden von den Architekten selbst entworfen.

Gemütliche Räume mit viel Tageslichteinfall sollen die Kreativität und Produktivität fließen lassen.

Neben den architektonischen und städtebaulichen Entwürfen beteiligt sich das Büro auch aktiv an der disziplinären Debatte. So produziert es bedeutende theoretische Inhalte durch Ausstellungen, Publikationen und Konferenzen. Zudem betreibt man bei LAN seit 2019 das RAAR. Ein eigenes Forschungs- und Innovationslabor gemeinsam mit Architekturforschern, praktizierenden Architekten, Übersetzern, Grafikern und Künstlern.

Von einsam zu gemeinsam

Aber kehren wir zurück ins neue LAN-Hauptquartier in die 47 Rue Popincourt und wie man dort mit der Schaffung von modernen Arbeitswelten umgeht. Die Prämisse des Projekts lautete, dass sich auch Architekturbüros einem ganz grundlegenden Wandel in der heutigen Geschäftswelt stellen müssen: dem Übergang von individueller zu gemeinschaftlicher Arbeit.

Wir wollen Begegnungen und Interaktionen begünstigen.

„Zusammenarbeit passiert aber nicht mehr nur an einem dafür vorgesehenen Ort, sondern ständig und überall. Flure, Küche, Gemeinschaftsbüros – vernetzt über Internet oder Smartphones – sind Orte für eine immer spontanere und informellere Art der Kooperation“, heißt es dazu im offiziellen Jargon. 

Die Abschaffung der Hierarchie

Genau diesen zeitgeistigen Anspruch an Flexibilität und Dynamik setzt man nun im neuen Office um. „Die Essenz unseres Projekts nährt sich aus folgender Beobachtung: Von hierarchischen Räumen über den zergliederten Open Space sind wir nun zu informellen Räumen übergegangen, um Begegnungen und Interaktionen zu begünstigen.“

Die großen Außenterrassen mit Blick über Paris fungieren ebenso als informelle Arbeitsräume.

Was ein wenig sehr theoretisch klingt, funktioniert in der Praxis ganz easy. Denn diese informellen Arbeitsräume können sich auf allen Ebenen des neuen Gebäudes entwickeln: ob auf den großen Außenterrassen, in den Loggien oder den doppelhohen Innenräumen. Unterstützt wird das Ganze natürlich durch die immer leichtere Zugänglichkeit zu Daten sowie den Einsatz neuer Technologien und der nötigen innovativen Ausstattung. 

Vom Parkhaus zum Designobjekt

Überhaupt darf man das gesamte Bauvorhaben als ganzheitlich genial betrachten. Handelt es sich doch um die teilweise Sanierung und Umwandlung eines Parkhauses, das um eine äußerst stylishe und zugleich ökologische Holzkonstruktion aufgestockt wurde.

Der ganze Stolz der LAN-Architekten: Ein Plateau, das von funktionalen Räumen begrenzt wird. Eine feine Aussicht inklusive.

Bei der Planung und Errichtung des Gebäudes konnten sich die Architekten all jenen Themen widmen, die ihnen besonders am Herzen liegen: „Verdichtung, urbane Integration, Schaffung einer aufstrebenden Umgebung, unter Berücksichtigung aller Maßstäbe: von der Stadt bis zum Geschirr, von der Arbeit mit Materialien bis zum Entwurf von Möbeln und spezifischen Umgebungen“, heißt es.

Im Stil einer antiken Säulenhalle

Im neuen Gebäude nutzt LAN selbst den Bereich vom 3. bis zum 5. Stockwerk. Dabei wurde die unterste der drei Etagen recht neutral gestaltet, um eine Anpassung an zukünftige Bedürfnisse zu ermöglichen. Das eigentliche Meisterstück lieferte man auf der 4. und 5. Etage, wo man einige architektonische Kunstkniffe verwirklichte.

Wie stolz man bei LAN auf diese zwei Top-Ebenen ist, zeigt sich auch im durchaus schwelgenden Ton der Beschreibung: „Die Gestaltung der ersten folgt der Logik des dienenden und genutzten Raums. Es ist ein Plateau, das von funktionalen Räumen begrenzt wird, die die Rekonfiguration des Leerraums ermöglichen. Die zweite ist ein Peristyl um einen Innenhof (Anm. in der antiken Architektur ein rechteckiger Hof, der auf allen Seiten von durchgehenden Säulenhallen umgeben ist), gekrönt von einem Dachgarten.“ 

Bei so viel emotionaler Anteilnahme an den eigenen Arbeitsräumen scheint es geradezu garantiert, dass das Architekturbüro viel Kraft für die Gestaltung einer ganzheitlichen und nachhaltigen Zukunft für uns alle entwickeln wird. Möge die Übung gelingen!

Text: Martin Obermayr
Bilder: Cyrill Weiner

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