Wohnen in einer Wassermelone
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Wohnen in einer Wassermelone

Als die Eigentümer dieses Apartments in Tokio mit der Renovierung ihrer Wohnung den Innenarchitekten Adam Nathaniel Furman beauftragten, wussten sie: Es wird wild. Dass sie nun aber in einer „Wassermelone“ leben, war dann doch eine (positive) Überraschung.

Mut kann man zwar nicht kaufen, man kann aber ganz schön mutig Einrichtung einkaufen! Vor allem, wenn man den international umtriebigen Innenarchitekten – und Farbenfetischisten – Adam Nathaniel Furman mit der Gestaltung des eigenen Apartments beauftragt.

Der Anfang der Wassermelone

Eben das hat vor gut drei Jahren ein japanisches Paar gemacht. Nun haben die zwei Farbenfrohen ihre neu gestaltete Wohnung bezogen – und teilen ihr kleschbuntes Heim zu unserem Glück mit der Welt. Also: Türen auf!

Konkret handelt es sich um eine 160 Quadratmeter große Wohnung inmitten Tokios im Stadtteil Nagatacho. Diese Gegend ist per se schon ungewöhnlich: Sie hat kaum tatsächliche Bewohner vorzuweisen – nur 350 Haushalte sind registriert. Trotzdem schwirren täglich 25.000 Menschen durch die Straßen des Viertels. Grund: Hier stehen viele Regierungsgebäude, in denen niemand wohnt, aber eben viele arbeiten.

Wohnen in einer Wassermelone

Wohnen in einer Wassermelone

Besagtes Paar jedoch, heute beide in Pension, erstand eben in dieser Ecke Tokios in den 80er-Jahren das Apartment. Ohne viel Wert auf das von ihnen lange nicht bewohnte Objekt zu legen, ließen sie es viele Jahre lang einfach so, wie es ist. Und das war weder speziell noch individuell – sondern schlicht und grau: Ein langer dunkler Flur von dem einzelne, kleine Zimmer zugänglich waren. Die Deckenhöhe niedrig, das Raumklima beklemmend.

Das Kaugummi-Briefing

Die idealen Voraussetzungen, um das genaue Gegenteil zu erschaffen. Eben deshalb kam der Wahl-Londoner Adam Nathaniel Furman ins Spiel. Er erinnert sich heute: „Die Bauherren wollten ihre Wohnung auf eine aufregende und unterhaltsame Weise aufwerten, die dem Wandel Tokios entsprach“, erzählt er. Konkret lautete damals schon das erste Briefing, man wolle ein Art Kaugummi-Wohnung haben.

Wohnen in einer Wassermelone

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Wohnen in einer Wassermelone

Wohnen in einer Wassermelone

Spätestens von diesem Satz an wusste der 37-jährige Farb-Freak, dass er sich bei diesem Projekt wahrlich austoben durfte. Das tat Furman denn auch – und erschuf eine Wunderwelt aus Erdbeer, Pistazie, Flieder und allem, was die Pastell-Palette sonst noch hergibt. Ungewöhnliche Materialien und Texturen kommen freilich genau so zum Zug, wie bauliche Maßnahmen.

Optische Täuschungen

Fangen wir gleich bei diesen an: Um das Raumgefühl zu verbessern, hob Furman an vielen Stellen die Decken an und schuf damit eine komplexe Deckenlandschaft. Die Deckenbalken versah er mit cremeweißer Strukturtapete; dass die so entstandenen Höhenunterschiede nicht weiter auffallen, liegt daran, dass sich das Auge auf die intensiven Farben der Umgebung konzentriert.

Wohnen in einer Wassermelone

Doch die bewusst eingesetzten Farben generieren zusätzlich eine besondere Art der optischen Täuschung: Die Räume wirken dadurch höher, weiter und heller. Ursprünglich nannten die Eigentümer ihr Apartment deshalb eben auch „Kaugummi“-Wohnung. Doch weil dies einfach zu sehr nach Plastik klang und in ihren Augen am Ende von der Realität übertroffen wurde, tauften sie ihr Heim schließlich um: In „Wassermelonen-Wohnung“.

Warum Wassermelone?

Furman hat’s gewundert, aber er meint dazu bloß: „Ein Hauch von Grün“ sei vorhanden und „Streifen mit warmen Farbnuancen, die an fleischige, saftige Rosatöne erinnern“ auch. Somit sei diese Assoziation schon „in Ordnung“, wenn auch nicht geplant gewesen.

Dieses Apartment ist ein Rückzugsort reiner sinnlicher Freude. Ein kleines, aber mit viel Tiefe gestaltetes Manifest für eine Architektur, die ein hyper-ästhetisiertes Fest der Sinne genau so feiert, wie die alltägliche Wohnwelt.

Adam Nathaniel Furman, Interior-Künstler

Gänzlich nach Plan jedoch kommen die eingesetzten Materialien zur Geltung: Handgeknüpfte Teppiche werden mit Vinyl kombiniert, die Kunststoffflächen der Wände treffen auf Türgriffe aus edlem Porzellan. Adam Nathaniel Furman ist nicht nur angstbefreit in Bezug auf krawallige Farbkombinationen, er schreckt auch vor Konfrontation der Luxuserzeugnisse mit Produkten aus Baumarktregalen nicht zurück. Solange der Effekt stimmt.

Buntes Experiment des Wohlfühlens

„Das Nagatacho-Apartment ist ein Experiment für den euphorischen Genuss von Farbe, Textur, Material und Form im Theater des Banalen und Alltäglichen. Ein Raum, der die Rituale und gemeinschaftlichen Aktivitäten der Nutzer in einen Ort mit konsequent verführerischer Ästhetik überführt“, sagt er.

Wohnen in einer Wassermelone

Wohnen in einer Wassermelone

In seinen Augen, sind die verwendeten Farben, Formen und Strukturen ähnlich einer Symphonie arrangiert. Einer Symphonie fürs Auge, sozusagen. So würden viele Details, die für sich selbst bloß schön sind, in Kombination ein großes Ganzes ergeben. Dieses würde die Bewohner dieser Wohnung förmlich einhüllen, wie der Künstler betont.

Und weil bei dieser bunten Wassermelonen-Geschichte unsereins ein bisschen wie der Blinde von der Farbe spricht, überlassen wir den Schlusssatz gerne dem hier federführenden Farb-Poeten Furman:

„Dieses Apartment ist ein Rückzugsort reiner sinnlicher Freude. Ein kleines, aber mit viel Tiefe gestaltetes Manifest für eine Architektur, die ein hyper-ästhetisiertes Fest der Sinne genau so feiert, wie die alltägliche Wohnwelt.“

Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Mark Cocksedge; Jan Vranovsky

Der Farb-Poet: Adam Nathaniel Furman

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