Wald, Cradle to Cradle
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Der immerwährende Kreislauf

Rohstoffe werden knapp, das Entsorgen von Bauschutt wird immer teurer. Vertreter des Prinzips „Cradle to Cradle“ fordern einen neuen Umgang mit Ressourcen. Wie der aussieht, erklärt Expertin Lena Junker.

Im ersten Moment denkt man an einen Irrtum. Kann es sein, dass ein Innovationslabor für Cradle-to-Cradle-Bauweise ausgerechnet in einem Ostberliner Plattenbau untergebracht ist? Vertreter dieser neueren ökologischen Denkschule würde man intuitiv eher in einem Plus-Energie-Haus aus Holz verorten. Doch bei genauerer Betrachtung macht es durchaus Sinn. Cradle to Cradle – wörtlich „von der Wiege zur Wiege“ – ist nämlich die der Natur abgeschaute Lehre des immerwährenden Rohstoffkreislaufs und des restlosen Wiederverwertens. So auch des Plattenbaus aus dem Jahr 1986, wo die C2C NGO ihren Hauptsitz hat.

Die Räumlichkeiten einer ehemaligen Apotheke sanierte die Non-Profit-Organisation streng nach den propagierten C2C-Prinzipien. Es war die weltweit erste umfassende Bestandssanierung dieser Art. Dazu zählen vollständig recycelbare Teppichfliesen, die Feinstaub binden, Farben und Lacke, die keine giftigen Stoffe ausgasen, naturbelassenes Seegras als Dämmstoff und rückbaubare Fenstersysteme.

Büro, C2C NGO, Berlin
Büro im C2C-sanierten Plattenbau: Aufputz-Installationen, kompostierbare Wandpaneele und recycelbare Teppichfliesen, die Feinstaub binden.

In ihrem Berliner Head Office betreibt die NGO das C2C LAB, eine Art Reallabor für das abfallfreie Wirtschaften. Entsprechende Workshops, Vorträge und Kongresse finden regelmäßig im eigenen Bildungszentrum statt. Weg vom Verbrauch, hin zum Gebrauch, ist die ausgegebene Devise.

Warum ein Umdenken gerade in der Baubranche so wichtig ist, begründet Lena Junker, Bauexpertin im Referat Städte & Kommunen von C2C NGO, im Interview.

Seit Jahrzehnten werden Dosen, Glas und Plastik recycelt. Die Baubranche hinkt dem Gedanken hinterher. Woran liegt das?

Lena Junker: Zum einen übersteigt die Lebensdauer eines Gebäudes die einer Dose oder einer Glasflasche um ein Vielfaches. Bei einer Wirtschaftlichkeitsrechnung über Jahrzehnte denken daher heute die wenigsten Verantwortlichen an das Nutzungsende eines Gebäudes. Das muss sich dringend ändern. In gesetzlichen Rahmenbedingungen und Normen muss es zum Standard werden, dass Rückbau und Wiederverwendung von Baustoffen nach Cradle to Cradle verpflichtend in alle Berechnungen eingehen. Zudem ist der Sektor stark durch Normen und Gesetze reguliert. Das kann sich einschränkend auswirken, speziell beim Recycling von Baustoffen.

Inwiefern?

Zum Beispiel ist die Frage der Gewährleistung ein noch zu lösendes Problem: Eine Brandschutztür etwa verliert ihr Zertifikat, wenn sie ausgebaut und wiederverwendet wird – egal, ob sie den Brandschutz noch gewährleistet oder nicht.

Der Druck von Konsumenten nimmt auch im Bauwesen sukzessive zu.

Lena Junker, C2C NGO

Lena Junker, C2C NGO
Lena Junker, Bauexpertin im Referat Städte & Kommunen von C2C NGO

Bislang haben die Menschen darauf geachtet, was sie essen, und wie sie konsumieren. Folgt jetzt der Anspruch des nachhaltigen Wohnens?

Der Druck von Konsumenten nimmt auch im Bauwesen sukzessive zu. Das zeigt sich bereits im privaten Hausbau und schwappt auf den gewerblichen und öffentlichen Bau über. Neben Umwelt- und Ressourcenaspekten spielen dabei auch gesundheitliche Themen eine immer größere Rolle. Werden nach Cradle-to-Cradle-Kriterien hergestellte Baustoffe verwendet, sinkt beispielsweise die Feinstaubbelastung im Inneren, und es gibt keine giftigen und gesundheitsschädigenden Ausdunstungen durch Farben und Lacke mehr. 

Büro, C2C LAB, Berlin
Das C2C LAB ist eine Art Reallabor für das abfallfreie Wirtschaften.

Ist dieser positive gesundheitliche Effekt auch messbar?

Cradle-to-Cradle-Projekte wie das Rathaus der niederländischen Stadt Venlo zeigen, dass dies einen direkten Effekt auf die in einem Gebäude arbeitenden Menschen hat: Dort sank der Krankenstand der im Rathaus Beschäftigen binnen eines Jahres um 2 Prozent gegenüber dem vorherigen Gebäude. Neben den positiven gesundheitlichen Aspekten ist damit auch ein direkter finanzieller Mehrwert für die Stadt verbunden.

Das C2C-Prinzip ist von der Natur abgeschaut: Abfall ist Nahrung. Wie lässt sich dieses Prinzip auf den Hausbau übertragen?

Auch Baustoffe können so designt, hergestellt und verbaut werden, dass sie am Ende ihrer Lebensdauer sortenrein voneinander getrennt, rückgebaut und anschließend entweder wiederverwendet oder im biologischen oder technischen Kreislauf gehalten werden können. Das Gebäude wird so zum Materiallager. Beton etwa kann heute in der Regel nur mit hohem Qualitätsverlust recycelt werden. Aber es gibt bereits andere Baustoffe, mit denen das besser funktioniert. Das sind etwa Stahl, Aluminium, Holz und Lehm, sofern sie bei der Verarbeitung nicht verunreinigt werden.

Welche Rolle spielt die Bepflanzung?

Ein Kernelement beim Bauen nach C2C-Kriterien ist der Erhalt der Biodiversität. Durch Begrünung von Dächern und Fassaden kann mehr Grünfläche geschaffen werden als durch Versiegelung zerstört wird. Das hat nicht nur positive Auswirkungen auf die Artenvielfalt, sondern trägt durch den Luftreinigungseffekt auch zu einem besseren Klima bei.

Wer sich im Baubereich gegen Kreislaufdenken stemmt, gefährdet schlicht die eigene Geschäftsgrundlage.

Lena Junker, C2C NGO

Was müssen Entscheidungsträger in Architektur und Bauwesen ändern, um die Weichen für eine nachhaltige Ökonomie zu stellen?

Bei Bauwerken jeglicher Art darf nicht der kurzfristige Profit im Vordergrund stehen. Gebäude werden lange genutzt und haben einen immensen Einfluss auf Menschen und die Umwelt. Daher muss bei der Profitabilitätsbetrachtung zwingend die gesamte Lebensdauer des Gebäudes und der darin verbauten Materialien beachtet werden. Es muss sich dabei natürlich auch finanziell lohnen, und das ist auch mit Cradle to Cradle möglich. Ein architektonisch ansprechendes Büro-Gebäude, in dem Menschen keine Gefahr laufen, gesundheitsschädlichen Stoffen ausgesetzt zu sein, lässt sich gut vermieten und ist daher auch eine gute Investition.

Showroom, C2C NGO
Showroom im C2C LAB: Raum für das angewandte Kreislaufdenken.

Der aktuelle Holzhaus-Boom zeigt, dass ein Umdenken beginnt. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Die hohe Nachfrage nach Holzbauweise, auch im gewerblichen Bereich, ist eine gute Entwicklung. Holz bindet CO₂, lässt sich wiederverwerten, am Ende einer Kaskadennutzung biologisch abbauen und ist zudem ein wunderschöner Werkstoff. Aber auch hier ist die gesamte Ökobilanz zu beachten. So lange Logistik nicht ausschließlich mit erneuerbaren Energien funktioniert, gehört dazu unter anderem auch der CO₂-Ausstoss beim Transport. Zudem dürfen Wälder nicht überlastet werden, daher ist eine nachhaltige Forstwirtschaft elementar.

Wie können Vertreter der Baubranche von einer C2C-Strategie überzeugt werden?

Allen Akteuren im Bauwesen muss klar sein, dass es nicht darum geht, einem kurzfristigen Trend zu entsprechen. Wer sich im Baubereich gegen Kreislaufdenken stemmt, gefährdet schlicht die eigene Geschäftsgrundlage. Die Baubranche ist heute der rohstoff- und müllintensivste Wirtschaftszweig, in Deutschland gehen rund 90 Prozent aller mineralischen Rohstoffe in die Baustoffherstellung. Schon heute ist Sand knapp, gleichzeitig schwinden Deponiekapazitäten, was die Entsorgung von Bau-Abfällen immer teurer macht. Die Wiederverwendung von Baumaterialien lohnt sich schon heute, aber die für die herkömmliche Massivbauweise verwendeten Baustoffe eigenen sich dazu mehrheitlich nicht. Unternehmen, die zukunftsfähig sein wollen, müssen sich dieser Herausforderung stellen. 

Die ökologischen Vordenker Michael Braungart und William McDonough propagieren mit der Cradle-to-Cradle-Community die nächste industrielle Revolution. Teilen Sie diese Ansicht?

Ja, denn es geht bei Cradle to Cradle nicht darum, die Dinge ein bisschen weniger schlecht zu machen, ein bisschen weniger CO₂ in die Atmosphäre auszustoßen und ein bisschen weniger Ressourcen zu verschwenden. Diesen Weg gehen wir seit rund 30 Jahren, und er führt nachweislich nicht dazu, dass wir die Umwelt entlasten. Wir müssen daher komplett umdenken und Produkte sowie Prozesse umgestalten. Nur so können wir für eine lebenswerte Zukunft sorgen. 

Interview: Gertraud Gerst
Fotos: C2C NGO, Getty

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