Haus des Jahres, Haus Hoinka, Atelier Kaiser Shen, Pfaffenhofen
#greenbuilding

Das Haus des Jahres ist aus Holz

Räume ohne Eigenschaften machen das Haus Hoinka von Atelier Kaiser Shen zum Verwandlungskünstler. Außerdem besteht das diesjährige „Haus des Jahres“ größtenteils aus CO2-armen Baumaterialien: Holz, Stroh und Lehm.

Bis vor nicht allzu langer Zeit lag der Fokus beim nachhaltigen Bauen auf der Energieeffizienz von Gebäuden im Betrieb. Seit man auch vermehrt auf die Vermeidung von Emissionen bei deren Errichtung schaut, kommt man langsam wieder zu jenen Baumaterialien zurück, die bis in die Anfäge der Baukultur zurückreichen. So wie Holz, Lehm und Stroh. Dass ein Strohballenhaus nicht nur kreislauffähig ist, sondern auch sehr gut aussehen kann, zeigt die Wahl des Einfamilienhauses Hoinka zum Haus des Jahres 2023. Ein Titel, der in diesem Jahr zum 13. mal von einer Fachjury und dem Callwey Verlag vergeben wurde.

Raumabfolge, Haus Hoinka, Atelier Kaiser Shen, Haus des Jahres, Pfaffenhofen
Die streng lineare Abfolge von Räumen und Türen erinnert an die Enfilade barocker Schlösser.

Mitten im Dorfkern von Pfaffenhofen, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Heilbronn, ließ sich ein Energieberater ein Haus aus nachwachsenden Rohstoffen bauen, die sich am Ende ihres Lebenszyklus wieder in den natürlichen Kreislauf zurückführen lassen. In einer selbst entwickelten Datenbank erfasste der Bauherr alle Materialien samt ihrer Herkunft. Ein wichtiger Schritt, wenn es darum geht, verbaute Materialien in Zukunft wiederzuverwerten.

Stroh an allen Seiten

Durch die aufgeständerte Bauweise war es möglich, das Haus Hoinka an allen sechs Fassadenseiten im modernen Stohballenbau zu errichten. Die sonst sehr aufwändige Abdichtung der Bodenplatte gegen Wasser war damit nicht notwendig. Das äußere Erscheinungsbild des Hauses erinnert zwar an eine Scheune, aber sonst hat es mit der einfältigen Gestaltung herkömmlicher Stohballenhäuser nichts gemein. 

1. OG, Raumabfolge, Haus Hoinka, Atelier Kaiser Shen, Haus des Jahres, Pfaffenhofen
Im ersten Obergeschoss ist das Haus in Längs-, im zweiten Obergeschoss in Querrichtung geteilt.

Die Architekten Florian Kaiser und Guobin Shen, die 2017 in Stuttgart ihr Atelier Kaiser Shen gründeten, haben gezeigt, dass sich diese rurale Bauweise auch mit zeitgemäßer Architektur verbinden lässt. Mit ihrem innovativen Design ebnen sie den Weg für Stroh und Holz, die in der Kombination eine der zukunftsfähigsten Baumaterialien sind. Beide Rohstoffe sind erneuerbar und binden während ihres Wachstums CO2 in Form von Kohlenstoff.

Einsparpotenzial Primärenergie

Stroh hat den zusätzlichen Vorteil, dass es als Abfallprodukt in der Landwirtschaft entsteht und kaum Herstellungsenergie benötigt. Der einzige Hemmschuh ist derzeit noch sein Low-Tech-Image, das es offenbar schwer hat, sich in unserer technologiegläubigen Welt durchzusetzen. Auch die Verarbeitung dieses Materials ist entsprechend anspruchslos. Überstände der Strohballen in der Holzunterkonstruktion werden einfach mit einer Heckenschere gekappt.

Fassade, Haus Hoinka, Atelier Kaiser Shen, Haus des Jahres, Pfaffenhofen
Die Gleichwertigkeit der Räume zeigt sich auch im standardisierten Fensterformat.

Obergeschoss, Haus Hoinka, Atelier Kaiser Shen, Haus des Jahres, Pfaffenhofen

Im Bau sparen strohgedämmte Gebäude so viel Energie gegenüber herkömmlichen ein, dass sich das Haus damit rechnerisch 69 Jahre heizen lässt.

Häuser des Jahres 2023, Callwey Verlag

Während der Dämmwert der Strohballen in etwa jenem von industriell hergestellten Produkten entspricht, fällt bei der Verwendung getrockneter Getreidehalme wesentlich weniger Primärenergie an. „Im Bau sparen strohgedämmte Gebäude so viel Energie gegenüber herkömmlichen ein, dass sich das Haus damit rechnerisch 69 Jahre heizen lässt“, heißt es dazu in der jüngsten Ausgabe von „Häuser des Jahres“.

Florian Kaiser und Guobin Shen,  Atelier Kaiser Shen
Die Architekten Florian Kaiser und Guobin Shen, die 2017 in Stuttgart ihr Atelier Kaiser Shen gegründet haben.

Der Raum ohne Eigenschaften

Auch für die soziale Nachhaltigkeit des Einfamilienhauses ist vorgesorgt. Die hohe Flexibilität war eine Vorgabe der Bauherrschaft und sorgt dafür, dass es möglichst vielfältig und lange nutzbar bleibt. Und je länger ein Haus nutzbar bleibt, umso besser für Mensch und Umwelt. Aus diesem Grund haben es die Architekten als Doppelhaus konzipiert, das im ersten Geschoss in Längs- und im zweiten in Querrichtung geteilt ist. 

Die Raumidee des Hauses basiert auf einer klaren Tragstruktur, mit Räumen ohne Eigenschaften, deren Nutzung sich auch ohne nennenswerte bauliche Eingriffe verändern lässt.

Atelier Kaiser Shen, Architekturbüro

Die Räume sind durch ihre Gleichwertigkeit und einem Standardmaß von etwa vier mal vier Meter flexibel bespielbar. Schlafzimmer, Wohnzimmer, Esszimmer oder Küche sind nicht fix vorgegeben. Lediglich die Lage der Bäder ist aufgrund der Installationen nicht verhandelbar. „Die Raumidee des Hauses basiert auf einer klaren Tragstruktur, mit Räumen ohne Eigenschaften, deren Nutzung sich auch ohne nennenswerte bauliche Eingriffe verändern lässt“, beschreiben die Architekten von Kaiser Shen ihr Raumkonzept.

Stiegenaufgang, Haus Hoinka, Atelier Kaiser Shen, Haus des Jahres, Pfaffenhofen
Die beiden großen Maisonettewohnungen können in vier Wohneinheiten unterteilt werden. Die interne Treppe wird dann zum Treppenhaus.

Neue Möglichkeiten für das Einfamilienhaus

Sowohl im Unter- als auch im Obergeschoss sind die Räume so aneinandergereiht, dass die Doppelflügeltüren oder offenen Durchgänge eine streng lineare Abfolge bilden. Bei geöffneten Türen ergibt sich ein Raumkontinuum mit Sichtbezügen, die das ganze Haus durchmessen und an die Enfilade barocker Schlösser erinnert. 

Häuser es Jahres 2023, Callwey Verlag
Häuser des Jahres ist ein Architektur-Award, der seit 2011 ausgelobt wird. Die gleichnamige Publikation dazu erscheint im Callwey Verlag.

Das Konzept der Räume ohne Eigenschaften ist auch an der Fassade ablesbar. Die Fenster sind bis auf die Terrassentüren alle gleich dimensioniert. Die äußere Einfachheit und Kompaktheit des Hauses spiegelt sich im Inneren, während das innovative Raumkonzept gleichzeitig vieles offen lässt und Möglichkeiten schafft, die das Potenzial des Einfamilienhauses neu ausloten.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Brigida González

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