Künstliche Muskeln geben uns Kalt Warm
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Künstliche Muskeln geben uns Kalt-Warm

Was ein Forschungsteam der Uni Saarland soeben präsentiert hat, könnte die Welt der Klimaanlagen in Windeseile revolutionieren.

Der Prototyp, den das Uni-Team jetzt auf der Hannover Messe vorgestellt hat, sieht aus wie direkt aus der Ideenschmiede von James Bond-Tüftler „Q“. Dabei zeigt das Blau-Pink leuchtende Teil in Wahrheit nichts, wovon 007 träumen würde – Klimaanlagen-Fans allerdings ganz besonders.

Mehr Leistung, wenig Aufwand

Der Prototyp demonstriert nämlich eindrucksvoll, wie wir in vielleicht schon recht naher Zukunft unsere Räume kühlen und auch heizen werden! Wirklich sensationell daran: Diese neue Heiz- und Kühltechnik ist theoretisch dreimal leistungsfähiger als die übliche Technik eines Kühlschranks und immer noch doppelt so leistungsfähig wie eine herkömmliche Wärmepumpe.

In Nicht-Wissenschaftssprache übersetzt kann man die Funktionsweise dieser gerade erst präsentierten Neuheit mit jener eines Muskels vergleichen. Ein Forschungsteam der Uni Saarland rund um Professor Stefan Seelecke und die Doktoranden Susanne-Marie Kirsch so wie Felix Welsch hat dieses Klimagerät entwickelt, das ganz ohne Kühlmittel, Pumpe und sonstige üblichen Teile auskommt – und dabei viel effizienter ist.

Künstliche Muskeln

Dieses transportiert Wärme mittels Drähten aus einer besonderen Formgedächtnislegierung – konkret aus Nickel-Titan (NiTi). Damit kann sowohl gekühlt, als auch gewärmt werden. „Die Phasenumwandlungen, die dabei in der Kristallstruktur des Materials stattfinden, setzen sogenannte latente Wärmen frei, beziehungsweise absorbieren diese“, erläutert Seelecke weniger unwissenschaftlich.

Künstliche Muskeln geben uns Kalt-Warm
Felix Welsch und Susanne Marie Kirsch vor ihrem Prottypen einer besonders energiesparenden Klimaanlage

Vereinfacht ergänzen Kirsch und Welsch: Wenn man diese Drähte erst spannt und dann entlastet, so kühlen sie sich um bis zu 20 Grad ab. Will man hingegen wärmen, geht man den umgekehrten Weg und spannt die Drähte nachdem sie entlastet waren: Dann findet eine ebenso starke Erwärmung statt.

Eben dieses Prinzip erinnert an die Arbeit von Muskeln im menschlichen Körper. Der Vollständigkeit halber: Gespannt und gelockert wird mittels eines patentierten Nockenantriebs, der Bündel der Drähte in speziellen Kammern kontinuierlich ziehen und entlasten kann. Und zum Vergleich: Ein einzelner Draht ist nur 200 Mikrometer dick und damit etwa doppelt so stark wie ein menschliches Haar.

Besonders spannend könnte der Einsatz dieser technischen Errungenschaft in der Gebäudetechnik sein, wo für Kühlung bisher besonders viel Energie benötigt wird. Je heißer der Sommer, desto mehr steigt der Energieverbrauch, gerade in den Städten. Laut der International Energy Agency (IEA) macht der Energiebedarf für Wärme und Kühlung in Gebäuden rund die Hälfte des weltweiten Energiebedards aus! Potenzial für die Optimierung gibt es hier also genug.

Was auch nicht zu verachten ist: Die neue Technik kommt im Betrieb völlig ohne klimaschädigende Kühl- oder Kältemittel aus (auch wenn natürlich auf serienreife Geräte gewartet werden muss, deren CO2-Bilanz dann erst mit den konventionellen Methoden verglichen werden kann).

Die Phasenumwandlungen, die dabei in der Kristallstruktur des Materials stattfinden, setzen sogenannte latente Wärmen frei, beziehungsweise absorbieren diese.

Stefan Seelecke, Professor Uni Saarland

Muskeln geben uns Kalt-Warm
Professor Stefan Seelecke

Überraschend mutet da an, dass das Forschungsteam der Uni selbst gar nicht aus der Energiewirtschaft kommt. Vielmehr liegt der Fokus auf Materialwissenschaft, Seelecke ist Professor für Intelligente Materialsysteme. Schon einige Jahre lang hat man am Campus und am deutschen Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema) in Saarbrücken an der neuen Technik geforscht.

Und hier ist man schon länger eben diesem Thema auf der Spur: So haben zwei Zema-Kollegen, Philipp Linnebach und Steffen Hau, vor kurzem motorlose Pumpen und selbstdosierende Ventile aus hauchdünner Folie vorgestellt. In der Vergangenheit gab es auch schon winzige Roboterarme und ähnliches mehr zu sehen.

Schon kurz vor der Marktreife?

Allein die Teams rund um Seelecke waren auf der letzten Hannover Messe mit 15 Demonstratoren (Prototypen) zu verschiedenen Anwendungen aus den Bereichen Formgedächtnistechnik und Dielektrische Elastomere präsent – und nur eine von mehreren Gruppen, die das Zema auf die bekannte Industriemesse geschickt hatte.

Nicht alle diese neuen Entwicklungen können schon in naher Zukunft ein Erfolg am Markt sein – das ist eben so, wenn Grundlagenforschung in praktische Anwendungen transferiert wird. Der Klima-Muskel der Uni Saarland könnte nun, nach insgesamt sechs Jahren durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderter Forschung, aber der Marktreife schon recht nahe sein.

Die Technologie gibt es jetzt, wir haben den ersten funktionierenden Demonstrator gezeigt.

Susanne-Marie Kirsch, Doktorandin

Für das Team der Uni Saarland geht es jetzt um die Umsetzung ihrer neuen Klimatechnik in der Praxis. Susanne-Marie Kirsch stolz: „Die Technologie gibt es jetzt, wir haben den ersten funktionierenden Demonstrator gezeigt.“ Nun werde in zwei Richtungen optimiert, um vor allem den Energieverbrauch zum An- und Abspannen der Drähte weiter zu verringern.

Das ist erstens das verwendete Material – es stammt in der jetzigen Form ursprünglich aus der Humanmedizin und kann noch weiter auf seine neuen Einsatzzwecke optimiert werden. Und zweitens geht es um um optimierte Protoypen für die vielversprechendsten Einsatzzwecke selbst – je nachdem wo die neue Technik eingesetzt werden könnte. „Das ist beispielsweise in Kühlschränken, in der Gebäudeklimatisierung oder in der energiesparenden Beheizung von E-Autos“, sagt Kirsch.

Ist die Zukunft in fünf Jahren Realität?

Schon in einigen Jahren könnten Enduser den Klima-Muskel im Alltag erleben. Übrigens: Forscher sagen gerne fünf Jahre, doch ob es am Ende zwei oder sieben Jahre sind, das hängt von vielen Faktoren ab.

Bei Immobilienprofis kommen diese neuen Entwicklungen jedenfalls gut an. Bleibt nur abzuwarten, wann wir von diesen neuartigen „Kalt-Warm-Duschen“ auch profitieren werden.

Und dank des niedrigeren Energieverbrauchs am Ende hoffentlich vor allem unsere Umwelt.

Text: Gerald Stefan
Fotos: Uni Saarland/Oliver Dietze; Getty

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