Renommierte britische Privatschulen setzen immer öfter auf repräsentative Holzbauten. Mit dem neuen Lesesaal der St. Edward’s School nördlich von Oxford verpasste das Büro TSH Architects der Fachwerk-Bauweise ein zeitgemäßes Update.

Der Neubau fügt sich ganz natürlich in den historischen Schulcampus ein. Mit seiner Backsteinfassade und den hellen Steinvorsprüngen, die die schmalen, vertikalen Fensterbänder vor der Mittagssonne abschirmen, passt er sich sowohl in seiner Materialität als auch in seiner Kubatur an den Bestand an. Der Giebel der Bücherei spiegelt in seiner Form die Steinkapelle auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes. Alt und neu existieren hier nicht nur harmonisch nebeneinander, die Neubauten komplettieren auch den ursprünglichen Masterplan, der bei der Eröffnung der St. Edward’s School im Jahr 1873 präsentiert wurde. Durch die Weiterentwicklung der Schule nach den Plänen des Architekten Nick Hardy von TSH Architects schließt sich die Bebauung nun auf allen vier Seiten des Schulhofes.

Roe Reading Room, St. Edward's School, Oxford, TSH Architects
Die maßgeschneiderten Holzbauteile für den Row Reading Room der St. Edward’s School lieferte das in Österreich ansässige Unternehmen Hasslacher Gruppe.

Ovale Halle mit Sog

Die drei Giebelenden des L-förmigen Christie Centre sind eine zeitgemäße Antwort auf die Viktorianische Architektur, während sich die Olivier Hall ganz deutlich davon ausnimmt. Mit ihrer ovalen Form markiert sie ohne Zweifel einen Ort, an dem die Menschen zusammenkommen. Sie ersetzt eine Halle aus den 1970er-Jahren und bietet Platz für bis zu 1.000 Menschen.

Die große Halle ist so positioniert, dass ihre geschwungene Form hinter den anderen Gebäuden hervortritt, eine städtebauliche Anordnung, die vom zentralen Hof aus betrachtet besonders gut funktioniert.

Jury, RIBA South Award

Über vier schlichte rechteckige Öffnungen im neuen Verbindungstrakt erfolgt der Zugang zur Olivier Hall, die dadurch einen gewissen Sog entwickelt. “Die große Halle ist so positioniert, dass ihre geschwungene Form hinter den anderen Gebäuden hervortritt, eine städtebauliche Anordnung, die vom zentralen Hof aus betrachtet besonders gut funktioniert“, konstatierte die Jury des Royal Institute of British Architects anlässlich der Verleihung des RIBA South Award 2022.

Christie Centre, Roe Reading Room, St. Edward's School, Oxford, TSH Architects
Die Olivier Hall ist durch die Baukörper im Vordergrund zu sehen und entwickelt mit ihrer ovalen Form einen gewissen Sog.

Gediegener Lesesaal

Im dreistöckigen Christie Centre befinden sich eine Reihe an modernen Unterrichts- und Arbeitsräumen, die universitären Charakter haben. Eine Bücherei, ein Café und – direkt unter dem Dach – der Roe Reading Room komplementieren das Raumprogramm. Dieser spektakuläre Leseraum vermittelt durch das sichtbare Fachwerk in gediegener Eiche ein ganz besonderes Raumgefühl. Tageslicht tritt durch die Fenster an der Seite und die verglaste Giebelwand ebenso wie durch das Oberlicht, wo die Holzriegel im Firstbereich nicht ausgefacht sind. Bündig mit dem Außendach sitzt ein Glassturz über der Konstruktion.

Die kreisförmigen Hängeleuchten scheinen schwerelos über den Lesetischen zu schweben und verleihen dem kathedralenhaften Raum einen leicht futuristischen Charakter. Durch die matt-schwarze Oberfläche der Holztische wird die ganze Aufmerksamkeit auf die Holzkonstruktion und den Außenraum gelenkt. Nur der lilafarbene Teppich schafft einen farblichen Kontrast zum warmen Eichenton des Holzes.

Oberlicht, Roe Reading Room, St. Edward's School, Oxford, TSH Architects
Das Oberlicht im Firstbereich des Fachwerks schafft eine natürliche Lichtsituation im Lesesaal.

Fachwerk made in Austria

Das Fachwerkdesign und das zugehörige Engineering kommen von The Green Oak Carpentry Company, die südwestlich von London zuhause ist. Produziert wurden die maßgefertigten Brettschichtholzträger aus Eiche von der Hasslacher Gruppe, die Produktionsstandorte in Österreich, Slowenien und Deutschland betreibt. 

Das Fachwerk scheint derzeit für feierliche Räumlichkeiten Schule zu machen. Einen ähnlich spektakulären und noch wesentlich höheren Raum nennt seit kurzem die Ibstock Place School im Südwesten von London ihr eigen. Hier arbeiteten die zuständigen Architekten mit einer rautenförmigen Fachwerkkonstrution, die sich ebenfalls nach außen hin mit einer Backsteinfassade präsentiert, die sich harmonisch in den Bestand einfügt.

Fassade, Christie Centre, Roe Reading Room, St. Edward's School, Oxford, TSH Architects
Mit der Backsteinfassade und den hellen Steineinfassungen fügt sich der Neubau harmonisch in den Bestand ein.

Werbefaktor Architektur

Für die renommierten und teuren Privatschulen bringen die neuen Bauwerke auch einen gewissen Werbefaktor mit sich. Repräsentative Räumlichkeiten, die moderne Architektur und baukulturelles Erbe miteinander verbinden, sind ein attraktives Aushängeschild für die Bildungseinrichtungen. Im Fall des Holzbaus kommt auch noch das Prädikat „nachhaltig“ hinzu, zumal er als eine der ökologisch verträglichsten Bauformen gilt.

Die St. Edward’s School im Norden von Oxford, auch bekannt unter dem Spitznamen „Teddies“, hat nicht nur eine lange Tradition, sie gilt auch als Eliteschmiede, so wie andere britische public schools auch. Der Begriff ist etwas verwirrend, da er das genaue Gegenteil einer öffentlichen Schule bezeichnet.

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Alt und neu, Tradition und Moderne: Das neue Ensemble komplettiert den Masterplan aus dem Jahr 1873.

„Öffentlich“ bezieht sich in diesem Zusammenhang auf einen freien Zugang, der unabhängig ist von Herkunft, religiöser Zugehörigkeit oder Beruf der Eltern. Die einzige Hürde sind die Schulgebühren, die sich im Fall der St. Edward’s School auf 15,660 britische Pfund (rund 18.000 Euro) pro Semester belaufen.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Chris Heaney, Christopher Cornwell

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