Wohntürme aus Holz und Stroh
In Wolfsburg sollen neben Automobilen bald auch zwei Hochhäuser vom Band laufen. Der Prototyp Woodscraper ist ein preisgekröntes Modell aus Holz und Stroh, das mehr Ressourcen erzeugt, als es verbraucht.
Die niedersächsische Stadt Wolfsburg hat in den vergangenen Jahren vor allem durch den Abgasskandal des ansässigen Volkswagen-Konzerns für Negativ-Schlagzeilen gesorgt. Dabei hat die deutsche Stadt mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf das Image des Umweltmuffels nicht verdient. Mit seinem neuen Quartier Hellwinkel ist Wolfsburg gerade dabei, zu einem Vorreiter der sozial und ökologisch nachhaltigen Stadtentwicklung zu werden. Das jüngste Vorzeigeprojekt umfasst zwei Woodscraper, die mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis und dem Bundespreis Ecodesign ausgezeichnet wurden.
Ein ressourcenpositives Gebäude
„Architektur stellt sich hier den Herausforderungen unserer Zeit“, lautete das Urteil von Dr. Claudia Perren, Direktorin der Bauhaus-Stiftung Dessau und Ecodesign-Jurymitglied. Mit dem Prototypen Woodscraper sei zum einen bewiesen, dass Hochhäuser aus nachwachsenden Rohstoffen wie Holz und Stroh machbar sind. Zum anderen zeige das Projekt, dass Gebäude über ihre Lebenszeit mehr Ressourcen erzeugen können, als sie für ihre Errichtung und Instandsetzung brauchen.
Bei ihrem Hochhaus-Prototypen aus Holz sprechen die Architekten daher von einem ressourcenpositiven Gebäude. Die Speicherung von CO₂ durch den Einsatz von Holz und Stroh ist größer, als der Ausstoß von CO₂, der in der Bauphase und beim Energiebedarf des Gebäudes entsteht. Der Entwurf für das Projekt Woodscraper stammt vom Architekturbüro Partner und Partner, das im Wettbewerb um das WoHo Berlin den zweiten Platz belegte.
Schluss mit ‚take, make, waste‘
Ein weiterer Nachhaltigkeitsaspekt von Woodscraper ist die angestrebte Kreislaufwirtschaft, auch bekannt unter dem Begriff Cradle to Cradle. „Das heutige lineare Wirtschaftsmodell ‚take, make, waste‘ beruht auf großen Mengen billiger, leicht zugänglicher Materialien und Energie und ist ein Modell, das an seine physischen Grenzen stößt“, kritisiert die Ellen MacArthur Foundation, die sich für die konsequente Schließung von Rohstoffkreisläufen einsetzt.
Ein Gebäude von seinem Nutzungsende her zu denken ist die Prämisse für das Bauen der Zukunft.
Jörg Finkbeiner, Geschäftsführer von Partner und Partner Architekten
Diesem Auftrag eines zirkulären Wirtschaftsmodells fühlen sich auch die Verantwortlichen der Öko-Hochhäuser für das Wolfsburger Hellwinkel-Viertel verpflichtet. Ein interdisziplinäres Team arbeitete daran, ein Baumodell zu schaffen, das zur Gänze kreislauffähig ist. Dazu stellen die Planer im Vorfeld sicher, dass sich die im Gebäude eingesetzten Ressourcen sortenrein zur Weiterverwendung rückbauen lassen. „Die Entstehung von Müll gehört damit der Vergangenheit an“, verspricht das Cradle-to-Cradle-zertifizierte Architekturbüro.
Langfristiges Planen und Denken
Das kreislauffähige Wohnhaus schaffe nicht nur einen Nutzen für die Umwelt, sondern bringe auch finanzielle Vorteile mit sich. „Durch vorelementiertes, serielles Bauen reduzieren wir die Bauzeiten deutlich, montieren witterungsunabhängig und schaffen durch die hohe Präzision der Vorfertigung deutlich höhere Kostensicherheit“, erklärt Jörg Finkbeiner, geschäftsführender Gesellschafter von Partner und Partner. Zudem ermöglichen die deutlich schlankeren Wände eine effektivere Raumnutzung.
Um die drängenden Probleme unserer Zeit, wie Ressourcenverknappung, Klimawandel und steigenden Wohnraumbedarf, zu lösen, brauche es vor allem langfristiges Denken und Planen. „Ein Gebäude von seinem Nutzungsende her zu denken ist die Prämisse für das Bauen der Zukunft“, ist Finkbeiner überzeugt.
Die nachwachsende Stadt
Das Architekturbüro Partner und Partner ist Teil des Netzwerks Die Nachwachsende Stadt (NWS), das 2010 von einer Gruppe Berliner Architekten gegründet wurde. Sie haben sich der Weiterentwicklung der Stadt mit erneuerbaren Ressourcen, allen voran mit dem Baustoff Holz, verschrieben.
Mindestens genauso ambitioniert ist der Masterplan des Architekturbüros Smaq, das dem neuen Hellwinkel-Quartier zugrunde liegt. Seit 2012 entstehen hier 720 Wohneinheiten, die Teil der Wolfsburger Wohnungsbauoffensive sind. Das Areal am östlichen Stadtrand soll nachhaltig entwickelt werden, und das auf allen Ebenen: städtebaulich, sozial, ökologisch und immobilienwirtschaftlich.
Ein genauer Zeitpunkt für die Umsetzung der seriell gefertigten Woodscraper steht noch nicht fest. Auf woodscraper.de können interessierte Mieter aber schon jetzt einen 360-Grad-Blick in ihre ökologische korrekte Traumwohnung werfen.
Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: Partner und Partner