Legendäre Villa E-1027
#architektur

Kult-Villa E-1027 wiedereröffnet

Eileen Grays Entwurf eines Sommerhauses aus dem Jahr 1929 ist großes Architekturkino. Nach umfangreicher und kontroverser Restaurierung steht die Villa E-1027 jetzt wieder für Besucher offen.

Reling, Rettungsring, Markisen und dazwischen der freie Blick aufs Meer. Die Villa E-1027 in Roquebrune-Cap-Martin hat nautisches Flair, und das ist ganz im Sinne seiner Architektin. Eileen Gray schuf an der französischen Riviera zwischen 1926 und 1929 ein Domizil für sich und ihren jungen Lebensgefährten Jean Badovici. 

Als Pionierin der Moderne wollte sie ein Haus schaffen, das architektonisches Manifest und heimeliger Wohnort in einem war. Es sollte dem Urlaub am Meer eine gänzlich neue Interpretation abringen. 1999 wurde E-1027 vom Conservatoire du littoral gekauft und ging damit in französischen Staatsbesitz über. Lange Jahre wurde restauriert und pünktlich zur Urlaubssaison kann die legendäre Architektur-Ikone nun wieder besichtigt werden.

Das Cap Moderne in Roquebrune-Cap-Martin
Das Cap Moderne in Roquebrune-Cap-Martin mit der Villa E-1027, Le Corbusiers Urlaubshütten und das Restaurant L’Ètoile de Mer

Villa E-1027 von Eileen Gray
Das Sommerhaus E-1027 gilt als eines der wichtigsten Zeugnisse moderner Architektur.

Aufhebung von Innen und Außen

Das Haus ist auf Stelzen gebaut und scheint schwerelos in den Felsen zu hängen, die steil zum Meer hin abfallen. Der schmale, langgestreckte Bau kommuniziert mit der Umgebung und lässt die Grenzen zwischen bebautem und offenem Raum verschwimmen. Dieses Prinzip erschließt sich auch im Inneren. Der Grundriss sah großteils offene Räume vor, die je nach Bedarf abgetrennt werden konnten. Feste Wände gab es lediglich als Grenzen zwischen Gemeinschafts- und Privaträumen. 

Der Name der Villa E-1027 erinnert an eine Schiffsnummer und steht für die Initialen der Bauherren – E für Eileen, 10 für den Buchstaben J in Jean, 2 für das B in Badovici und 7 für das G in Gray. Die wohlhabende Irin aristokratischer Abstammung machte Badovici das Haus zum Geschenk. Gemeinsam bewohnt haben sie es allerdings nur kurze Zeit.

E-1027 wurde zum Kult-Design

Die Pariser Architektur-Zeitschrift „L’Architecture Vivante“, deren Herausgeber Badovici war, widmete der Villa eine eigene Ausgabe. Heute, wenn E-1029 – Maison en Bord des Mer bei Auktionen auftaucht, erzielt die seltene Edition stets Höchstpreise. Das Cover war eine von Grays wenigen typografischen Arbeiten.

Wohnraum mit Eileen Grays eigenen Möbelentwürfen
Die Möbel im Haus E-1027 sind Entwürfe von Eileen Gray und haben allesamt Kultstatus – vom Loungesessel Bibendum bis zum Chrom-Beistelltisch E-1027

Das Sommerhaus war mit Grays eigenen Möbeln ausgestattet, viele davon hatte sie speziell für das Haus entworfen. Kult-Status haben sie mittlerweile alle – vom verchromten Beistelltisch E-1027, dem halbrunden Bibendum-Sessel bis hin zu den monochromen Teppichentwürfen. Heute zahlen Sammler für ihre Möbel Rekordpreise. Einer ihrer Sessel erzielte bei der Versteigerung des Besitzes von Yves Saint-Laurent vor zehn Jahren satte 22 Millionen Euro.

Eigenständiger, intuitiver Modernismus 

Für Gray, die aus der Malerei kam und sich einen Namen als Möbeldesignerin gemacht hatte, war es das erste Architekturprojekt, das sie umsetzte. Die klaren Linien, das Flachdach und der funktionelle Minimalismus von E-1027 waren eindeutig dem Zeitgeist der Moderne geschuldet. 

Schlafraum mit Einbaumöbel und Teppich von Eileen Gray
Das Intuitive und Subtile macht den Stil von Eileen Gray unverkennbar.

Doch anders als viele Modernisten bezog Gray in ihre Architektur das Soziale und Intuitive des Wohnens mit ein. Ihr Design basierte auf einer sinnlichen Erfahrung des Raumes. Lebenswerte Wohnareale, die einfach an die Bedürfnisse der Bewohner angepasst werden können, standen im Mittelpunkt ihres Interesses. Sie hinterfragte viele der Prinzipien der Moderne und kritisierte die reine Äußerlichkeit zu Ungunsten von Wohngefühl und Komfort.

Ein Haus ist keine Maschine, in der man lebt. Es ist die Schale des Menschen, seine Verlängerung, seine Freisetzung, seine spirituelle Emanation.

Eileen Gray

Dem ideologischen Entwurf der Wohnmaschine von Le Corbusier konnte Gray nur wenig abgewinnen. „Ein Haus ist keine Maschine, in der man lebt“, konterte sie. „Es ist die Schale des Menschen, seine Verlängerung, seine Freisetzung, seine spirituelle Emanation.“ Zu Le Corbusier sollte sie Zeit ihres Lebens eine problematische Beziehung haben. 

Das kontroverse Erbe

Le Corbusier ließ 1952 auf dem angrenzenden Grundstück eine rustikal anmutende Blockhütte bauen, die er Le Cabanon nannte. Die Hütte bestand aus Fertigteilen, die er in Korsika zimmern und vor Ort zusammenbauen ließ. Er war ein großer Bewunderer von Grays subtilem Design. Dies hielt ihn aber nicht davon ab, acht großflächige Wandgemälde in und auf ihr Haus zu malen. Jean Badovici, der offizielle Eigentümer von E-1027, soll ihn dazu ermutigt haben. Zumal Gray bewusst auf weiße, blanke Wände als Stilmittel setzte, hatte sie mit den Bildern keine Freude. Berichten zufolge soll sie das Haus in der Folge nie wieder betreten haben. 

Wandgemälde von Le Corbusier
Eines von acht Wandgemälden, das Le Corbusier in und auf Eileen Grays Villa gemalt hat.

cap moderne
Das Cap Moderne samt Villa E-1027 von Eileen Gray kann in kleinen Gruppen und nach Voranmeldung besucht werden.

Aufgrund der größeren Bekanntheit von Le Corbusier war die Restauration des Hauses anfangs auf die Erhaltung dieser Gemälde beschränkt. Für Anhänger von Eileen Grays feinsinnigem Stil kam es einer Entweihung gleich, dass E-1027 nicht in seiner ursprünglichen, von der Architektin beabsichtigten Form wiederhergestellt wurde.

Der 2015 erschienene Film „The Price of Desire“ thematisiert die Verunglimpfung von Grays künstlerischer Autorenschaft durch Le Corbusier. Mittlerweile zweifelt niemand mehr daran, dass Eileen Gray zu den einflussreichsten Wegbereitern eines ganzen Jahrhunderts moderner Architektur zählt. Das frisch restaurierte Sommerhaus am Cap Moderne liefert jetzt den Beweis.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Manuel Bougot – FLC/ADAGP

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